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Ein Gespräch mit Dr. Johannes Bergmair, General Secretary der World Packaging Organisation

“...eine Verpackung ist immer auch ein Kompromiss”

Dr. Johannes Bergmair ist General Secretary der World Packaging Organisation und ein Experte auf dem Gebiet der Verpackungstechnologie. Wir unterhielten uns mit ihm über "gute" und "schlechte" Verpackungen und welche Aspekte eine gelungene Verpackung ausmachen. Sie werden sich wundern, wieviele Faktoren bei der Gestaltung zu beachten und wie schwer alle Anforderungen unter einen Hut zu bringen sind. Erfahren Sie mehr über "intelligente" Packeinheiten, recycelbare Rohstoffe und was eine jahrtausendealte, verzierte Kokosnuss damit zu tun hat.

Interviewer: Beim Thema Verpackungen gehen Laien gemeinhin von simplen, möglichst standardisierten Kartons und Kisten aus, die zudem oftmals eng von Plastikfolien umwickelt sind. Wie vermitteln Sie einem Laien, dass „eine Box nicht gleich Box ist“ und Behälter und Verpackungen sich oft durch kleine Details mit großer Wirkung unterscheiden?

Johannes Bergmair: Da sprechen Sie gleich zu Beginn eine der Grundthematiken an, nämlich wie komplex sogenannte „Verpackungssysteme“ eigentlich sind. Vor allem für Außenstehende verändert sich die Verpackung innerhalb eines „magischen“ Moments – von einer Sekunde auf die andere – zu Abfall. Dann gilt sie als Problem, das korrekt entsorgt werden muss. Die Vielzahl an Funktionen, die eine Verpackung bis dahin erfüllt, wird leider oft übersehen.

Im Zuge meiner Tätigkeit bei der WPO kläre ich über die wichtigsten Vorteile von Verpackungen auf: Zum einen haben Verpackungen eine sehr wichtige Schutzfunktion – sie schützen das Füllgut vor äußeren Einflüssen wie Feuchtigkeit und Licht, damit die Güter nicht verderben, korrodieren oder gar ihre Farbe oder den Geschmack verändern. Dies gilt natürlich auch vice versa, wenn man die Außenwelt oder Menschen vor dem Füllgut schützen muss, z.B. bei Gefahrgut.
Zum anderen ermöglicht Verpackung überhaupt auch den Transport von Waren. Seit 10.000 Jahren handelt der Mensch mit Waren. Die Produkte, die dabei in Umlauf gelangen, müssen selbstverständlich transportierbar sein. Ohne Verpackungen würde das nicht gelingen. Auch die Umhüllungsfunktion darf nicht unterschätzt werden, da durch Verpackungen eine Ladeeinheit geschaffen wird.

Schließlich sind Verpackungen auch aus Marketingsicht wichtig, da sie kommunizieren: Was ist darin eingepackt und wie soll es behandelt werden? Wie lange ist es haltbar, welche Menge ist abgepackt und welche Informationen sind im aufgedruckten Barcode hinterlegt? Darüber hinaus schaffen Verpackungen Identität und einen hohen Wiedererkennungswert, wie bei der Coca-Cola-Flasche, die weltweit die meisten Menschen selbst ohne Etikett nur anhand der Form erkennen würden.
Wir als WPO stehen in diesen Themen auch beratend zur Seite. Unternehmen können große Fehler machen, wenn sie diese Vielzahl von Funktionen nicht im Blick behalten. Wenn eine Verpackung ihre Anfordernisse nicht passend abdeckt, dann ist es eben keine gute Verpackung. „Schlechte“ Verpackungen können sich im Ernstfall am Markt einfach nicht durchsetzen und verursachen Probleme, welche man sich vorab, bei reiflicher Überlegung, eigentlich ersparen hätte können.

Das klingt nach vielen Faktoren, die beim Design einer erfolgreichen Verpackung einfließen. Doch wie tariert man diese einzelnen Überlegungen aus?

Ganz offen gesagt: Eine Verpackung ist immer auch ein Kompromiss, denn all die genannten Faktoren widersprechen sich teilweise. Der Marketingverantwortliche hätte es am liebsten farbenfroh, in edlem Design und auffälliger Form, während der Logistiker auf eine möglichst vorteilhafte, eckige, standardisierte Form besteht, welche sich ideal auf einer Palette stapeln lässt. Zeitgleich muss es leicht handhabbar und zu öffnen sein – geht es aber zu leicht auf, könnte das Produkt wiederum beim Transport für Probleme sorgen. Wie erwähnt, muss man bei der Verpackungsgestaltung immer einen Kompromiss suchen, bei dem die beste Gesamtperformance sichergestellt ist. Es ist ein relativ komplexes Zusammenspiel von vielen Anforderungen und Funktionen.

Welche Ansprüche werden derzeit speziell in der Welt des Transports und der Logistik an Verpackungsbehältnisse gestellt? Immerhin wird erwartet, dass Verpackungen mechanischen Belastungen genauso wie klimatischen Beanspruchungen widerstehen. Gibt es signifikante Unterschiede zwischen einzelnen Branchen?

Neben den zuvor erwähnten Ansprüchen geht es im Transportbereich vor allem um Logistik und Lagerbarkeit. Ermöglicht die Verpackung, dass die transportierte Ware gut durch die vorhandenen Supply Chains kommt? Hier ist vor allem die Normierung wichtig, damit die Verpackungen in kleineren Einheiten optimal auf Paletten passen und diese in weiterer Folge auch „containertauglich“ sind. Darüber hinaus soll die Verpackung ein geringes Gewicht haben, leicht handhabbar sein und eine einfache Kennzeichnung ermöglichen.

Zusätzlich ist vor allem in den letzten Jahren das Thema Sustainability aufgekommen – welche Packstoffe werden verwendet, wie ökologisch werden diese hergestellt? Sind die Materialien wiederverwendbar und wie kann man sie nach Ende ihrer Nutzung am besten recyceln?

Selbstverständlich gibt es bedeutende Unterschiede zwischen einzelnen Branchen. Bei Nahrungsmitteln stehen Hygiene und Lebensmittelsicherheit im Vordergrund – es darf zu keinen Wechselwirkungen zwischen Ware und Verpackung kommen. Bei der Automotive-Branche geht es sehr stark um Arbeitsabläufe: Wie wird das Paket angeliefert und wie schnell kann die Ware entnommen werden? Bei der pharmazeutischen Branche wiederum wird besonderes Augenmerk auf Reinheit und Staubfreiheit gesetzt.

Auch die Wahl des Transportmittels bestimmt oft die Art der Verpackung. In Frachtflugzeugen muss der Unterdruck beachtet werden, und auch die Belastungen bei Start und Landung sind viel höher als beispielsweise auf einem Hochseeschiff. Dort wiederum ist Feuchtigkeit und Korrosion aufgrund des Salzes ein Thema. Bei Schienentransporten muss man mit größeren Erschütterungen durch Rangierarbeiten rechnen.

Ein aktuell großer Trend in der Transportwirtschaft: detailliertes Tracking von Containersendungen, einschließlich Informationen über die aktuelle Position per GPS, den Temperaturverlauf während des Transports, Feuchtigkeit bei der Lagerung und Co. Inwiefern trifft Ähnliches auf Verpackungen zu? Werden Kartonverpackungen künftig automatisch mit integrierten Datenloggern, smarten Chips, NFC, etc. ausgeliefert und zu einer gängigen „Massenware“?

Das ist in der Verpackungsbranche tatsächlich ein großes Thema. Wir nennen diesen Bereich AIP – active, intelligent packaging. Diese Verpackungen sind beispielsweise in der Lebensmittelbranche dahingehend intelligent, dass sie mit dem Transportgut interagieren: z.B. durch Absorbieren von Feuchtigkeit oder Sauerstoff. Andere Konzepte blockieren Reifungsgase oder emittieren Konservierungsstoffe. Auch integrierte Temperaturindikatoren sind ein wichtiger Aspekt.
In diesem Bereich gibt es seit ca. 10-15 Jahren viel Forschung, aber relativ wenig Angebot am Markt. Auffällig ist dabei, dass diese Technologien vor allem in Japan umfangreich zum Einsatz gelangen, während der Rest der Welt etwas hinten nach ist. Woran das genau liegt, wird derzeit noch erforscht – ich vermute aber, dass es an den Kosten liegt. Die Verpackungsindustrie hat einen hohen Kostendruck und es wird sehr knapp kalkuliert.

Diese modernen Systeme existieren also, kommen aber noch nicht zur breiten Anwendung. Die Erfahrung zeigt jedoch: Kaum entscheidet sich ein großer Anbieter oder Konzern dazu, einen neuen Standard einzusetzen, ziehen die Mitbewerber rasch nach. Solche Technologieumbrüche können in der Verpackungsindustrie sehr schnell geschehen und es wird spannend, aus welcher Richtung neue Lösungen zum Durchbruch gelangen werden.

“Kaum entscheidet sich ein großer Anbieter oder Konzern dazu, einen neuen Standard einzusetzen, ziehen die Mitbewerber rasch nach. Solche Technologieumbrüche können in der Verpackungsindustrie sehr schnell geschehen und es wird spannend, aus welcher Richtung neue Lösungen zum Durchbruch gelangen werden.”

Johannes Bergmair über Innovationen im Bereich AIP (active, intelligent packaging)

Umweltschutz, Recycling und ein schonender Umgang mit Ressourcen sind die Themen unserer Zeit. Inwiefern sind diese Schlagworte relevant in einem Bereich mit Wegwerfverpackungen aus Pappe bzw. Papier und erheblichem Einsatz von Plastikfolien und anderen Kunststoffen? Wäre es möglich, auf Folien aus Maisstärke o.ä. zu wechseln?

Wie erwähnt, gilt das als das Hauptthema in unserer Branche. In diesem Bereich tut sich sehr viel, vor allem im Bereich der „circular economy“, indem man Verpackungen wieder in einen Kreislauf bringt. Darüber hinaus gab es in den letzten Jahren auch den Trend, etwas weniger Material einzusetzen, beispielsweise mit dünneren Strukturen, die aber dennoch dieselbe Schutzleistung erbringen. Nun sieht man zunehmend einen Gegentrend, die Verpackungen nun doch dicker zu machen, dabei aber nur ein einziges Material zu verwenden. Dadurch wird wiederum die Entsorgung einfacher. Da muss noch an der richtigen Balance gearbeitet werden.

Kunststoffmaterialien stehen momentan unter Druck, weil diese aus Erdöl und nicht aus nachwachsenden Rohstoffen, wie z.B. Pappe, produziert werden. Auch das Recycling ist in diesem Bereich problematischer und auf keinem hohen Level. Zudem ist Erdöl derzeit relativ billig und recycelter Kunststoff gilt weiterhin als vergleichsweise teuer.
Kompostierbare Folien sind ein interessanter Ansatz, widersprechen aber dem Bestreben, diese Materialien lange im Stoffkreislauf zu halten. Im besten Fall setzt man Stoffe ein, die lange verwertet werden können, dabei aber recycelbar bleiben – allein schon aus Gründen der CO2-Bilanz.

Stichwort „Smart Packaging“: Welche Trends scheinen sich derzeit durchzusetzen und was könnten künftig die größten Herausforderungen sein? Besteht Bedarf an speziellen Verpackungen für die zuletzt stark angestiegenen E-Commerce-Sendungen?

E-Commerce ist bereits vor Corona groß im Kommen gewesen und hat durch die COVID-19-Pandemie einen massiven Boost erhalten. In puncto Verpackung ist man hier bestimmt nicht bei aller Weisheit Schluss angekommen. Auch hier gilt die Diskrepanz, dass man es zum einen modular und transportsicher halten muss. Selbstverständlich kann man deshalb nicht für jedes Item eine eigene Verpackung bereithalten. Andererseits erwartet sich der Kunde, dass er keine große Schachtel mit einer einzigen kleinen Druckerpatrone im Postkasten vorfindet.

Diese Widersprüche sind leider noch nicht gelöst, müsste man doch dazu die gesamte Verpackungsproduktion umkrempeln. Der Trend könnte zu individualisierten Verpackungen in richtiger Größe, statt unpassender Standardboxen, gehen. Diese könnten im Stile eines 3D-Druckers vor Ort produziert werden. Doch das ist derzeit noch Zukunftsmusik und wäre wohl eher im Lifestylebereich ein Thema als beispielsweise für ein simples USB-Kabel, das von Asien nach Europa verschifft wird. Es bleibt weiterhin eine Kostenthematik und jede Entwicklung muss wirtschaftlich darstellbar bleiben.

Von den verhältnismäßig standardisierten Amphorenmodellen der alten Griechen im mediterranen Seehandel bis zum „superstabilen“ High-End-Karton mit elektronischen Applikationen zur Überwachung der Sendung ist viel Zeit vergangen und zahlreiche Innovationen haben seitdem das Licht der Welt erblickt. Wagen Sie als Experte in puncto Verpackungen einen Ausblick auf mögliche Entwicklungen in den nächsten 50-100 Jahren?

Das ist wirklich eine interessante Frage und schwer zu beantworten, doch eines ist klar: Es wird auch weiterhin Verpackungen geben. Zu den antiken Amphoren fällt mir eine kurze Anekdote ein: Bei einer unserer WPO-Tagungen waren wir vor einiger Zeit in Rio de Janeiro und ich besuchte dort auch das Museo Nacional. Im 5. Stock befanden sich die Schauräume über die ersten menschlichen Zeugnisse des Kontinents. Ich stieg dort aus dem Lift und erblickte als allererstes Objekt eine alte, verzierte Kokosnuss, die zur Aufbewahrung von Milch verwendet wurde – es handelte sich also um eine jahrtausendealte Verpackung.

Es zeigt sich, dass der Mensch – seit er sich vom reinen Jäger und Sammler zum sesshaften Kulturmensch entwickelt hat – immer einen Bedarf an Verpackungen haben wird. Wie diese in 50-100 Jahren exakt aussehen werden, hängt auch davon ab, wie wir uns als Gesellschaft entwickeln.

Danke für das Interview!

Johannes Bergmair - World Packaging Organisation

DI Dr. Johannes Bergmair, Jahrgang 1973, studierte Lebensmittel- und Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien. Sein Spezialgebiet im Bereich Verpackungen ist das firmenübergreifende Qualitätsmanagement in der Foodstuffs Supply-Chain. Auf diesem Gebiet erfolgte – neben zahlreichen Veröffentlichungen in Zeitschriften – der Abschluss einer Dissertation an der TU Wien im Herbst 2002. Von 2000 bis 2016 war er am OFI Verpackungsinstitut in Wien tätig und leitete das Institut ab April 2003.
Seit Anfang 2017 ist Johannes Bergmair mit seiner Firma PACK EXPERTS selbständig als Verpackungstechnologe tätig. Er hält zahlreiche Lehrgänge über Verpackungstechnologie an mehreren österreichischen und deutschen Universitäten und Fachhochschulen, arbeitet als Gerichtsgutachter im Fachbereich Warenverpackung und als Produktexperte „Verpackung“ auch als Auditor für Hygienemanagementsysteme.
Von Mai 2015 bis Ende 2017 fungiert er als „Vice President for Sustainability and Food Safety“ bei der World Packaging Organisation - WPO. Mit Jahresbeginn 2018 übernahm er bei dieser internationalen Verpackungsvereinigung die Rolle des General Secretary.